BME Rhein-Main-Region

04.05.2011

Interview mit dem Frankfurter Immobilien-Investor und Architekten Ardi Goldman

"Ich bin Old Economy"

Interview mit dem Frankfurter Immobilien-Investor und Architekten Ardi Goldman

"Stadtteil-Regisseur", "König des Ostends", "Immobilien-Visionär" - es ist schwer, Ardi Goldman und sein Schaffen in nur wenigen Worten zu beschreiben. In Frankfurt prägte er das Stadtbild insbesondere durch die Entwicklung des ehemaligen Geländes der Union-Brauerei an der Hanauer Landstraße zu einem urbanen Treffpunkt. Sein aktuelles Projekt ist nicht weniger spannend. Der Sitz der ehemaligen Diamantenbörse in der Stephanstraße unweit der Zeil soll Mittelpunkt des neuen Quartiers Neustadt werden und die Innenstadt beleben. Der BME rmr sprach mit Ardi Goldman - und erfuhr unter anderem, was ein guter Einkauf mit einem guten Koch gemeinsam hat.

Herr Goldman, Sie sind bekannt für individuelle und einzigartige Projekte in Frankfurt. Wie gehen Sie mit den Risiken solcher Investitionen um?

Ich bin ein Metropolendenker, daher stehen für mich zunächst Überlegungen im Vordergrund wie: Was fehlt? Warum fehlt es bis jetzt? Für welche Zielgruppe ist das Produkt geeignet, und gibt es diese Zielgruppe überhaupt? Je größer die Stadt, desto größer ist auch die Zielgruppe, aber ich bin nun mal in Frankfurt und nicht in New York oder London. Und als letzte logische Schlussfolgerung: Ist diese Zielgruppe fassbar und ist sie für das Produkt, das man erstellt, auch finanziell situiert?

Frankfurt alleine ginge gerade als Metropölchen durch. Sehen Sie die Entwicklungen in Richtung einer Metropolregion FrankfurtRheinMain positiv?

Ich sehe es als Vorteil. Es ist wichtig zu wissen, was die Region kann. Dabei sind kurze Wege ein Hauptargument. Wir können innerhalb von einer Stunde in vielfältiger Weise Strukturen, Kulturen und auch Sprachen erleben. Der Hesse in der Wetterau ist beispielsweise kaum zu verstehen. Es gibt zum einen eine Mikrorasterung, das Umfeld ändert sich fast alle zehn Kilometer. Zum anderen können wir trotzdem unter dem einen Aspekt der Rhein-Main-Region beworben werden.

Wie weit würden Sie den Rahmen fassen?

Der Metropolgedanke wäre viel einfacher durchzusetzen, wenn es den Wettbewerbsfaktor untereinander nicht geben würde. Wiesbaden ist die Hauptstadt, zumindest behauptet sie dies. Die eigentliche Hauptstadt ist jedoch Frankfurt. Wenn man einen Metropolgedanken wirklich verfolgen würde, müsste man die Akzeptanz eines Leitbildes nehmen, einer akzeptierten Führungsstadt, und diese in der Folge ausweiten. Leider gibt es das im Rhein-Main-Gebiet nicht.

Sehen Sie sich dagegen Bayern an. Da ist klar, dass München das Leitbild von ganz Bayern ist, und trotzdem gibt es viele weitere Gebiete, die genauso qualitätsvoll sind. Sie treten aber nicht in den Wettbewerb mit München, sondern haben ihre eigene Akzeptanz. Mein Vorschlag ist, den Hessischen Landtag nach Frankfurt zu bringen und Frankfurt klar als Hauptstadt zu definieren. Alle umgebenden Städte könnten unter diesem Dach kooperieren, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren.

Sie haben keine klassische Ausbildung im Immobiliensektor gemacht. Wie wichtig ist die Lebenserfahrung, das "Learning by doing"?

Ich bin kurz vor dem 50. Lebensjahr, ich bin Old Economy. Die Arbeitsprozesse verändern sich natürlich, aber ich lebe noch in einer alten Welt, und ich versuche nach wie vor, diese alte Welt zu retten. Ich habe zuhause 2000 Bücher. Ich liebe das Buch und werde niemals ein E-Book-Leser werden, weil ein Buch etwas Haptisches ist. Es ist ein Klassiker. Ich lebe mit Technik, aber ich versuche, das Menschliche in der Technik nach wie vor zu erhalten.
Es geht um das Handgemachte, das atmosphärisch nicht zu definieren ist. Sie können DIN-Normen und Kennwertzahlen definieren, aber Atmosphäre? Das fängt bei Licht an. Sie haben Lux-Zahlen, Sie haben Lichtfarbenzahlen, aber eine spezielle Stimmung können Sie durch diese Zahlen nicht schaffen. Das können Sie nur durch Erfahrungswerte und durch Ausprobieren - den menschlichen Faktor.

«Standardisierung interessiert mich nicht»

Bei der Vielfältigkeit Ihrer Projekte dürfte ein zentraler Einkauf kaum möglich sein.

Wir haben keinen zentralen Einkauf. Ich habe Teams, die die Projekte mit mir zusammen absprechen. Natürlich haben wir über die Jahre langfristige Beziehungen zu Handwerkern und Lieferanten aufgebaut, denen wir vertrauen und auf die wir immer wieder zurückgreifen. Wir erweitern diesen Pool stetig und überprüfen selbstverständlich auch regelmäßig, ob die Preise noch stimmen. Man kann unser Vorgehen mit der Arbeit eines Kochs vergleichen. Er macht schon seit Jahren eine gute Suppe, verwendet aber immer wieder neue Ingredienzen, neue Gewürze, probiert neue Sachen aus und verbessert das Produkt.

Sind zumindest Standardisierungen möglich?

Ich bin nicht interessiert an Standardisierung, wir sind keine Massenanbieter. Nicht-Standardisierung ist das Alleinstellungsmerkmal unserer Produkte. Standardisierung ist ein Mercedes, Audi oder BMW. Ein Ferrari kostet das Doppelte, hat aber auch seinen Anspruch, weil es kein standardisiertes Produkt ist. Vergleichbares gibt es auch bei Uhrenmanufakturen. Wir tendieren zur Nicht-Standardisierung, zu eigenen Produkten, zu einer Eigenständigkeit. Das heißt nicht, dass es viel teurer sein muss, es macht nur mehr Arbeit. Eine meiner Hauptregeln ist eine qualitative Haltung gegenüber dem eigenen Produkt - das bezieht sich auf Raum, Material und Authentizität.

Was war denn Ihr interessantester Einkauf?

Der interessanteste Einkauf war zugleich eine Erfindung und eine Verbesserung. Wir haben Lofts gebaut und mussten einen atmosphärisch passenden Heizkörper finden. Ich habe versucht, eine Reminiszenz an die Vergangenheit zu schaffen, einen Stahlheizkörper. Dabei handelte es sich um einen Arbonia-Heizkörper, einen Röhrenheizkörper, der nicht lackiert ist. Er spiegelt die Fertigkeiten der alten Industriekultur wider. Der war kaum zu beschaffen, weil ich nur den unverarbeiteten Heizkörper aus Stahl benötigte. Nicht geglättet, nicht gefüllert, nicht lackiert, einfach in der Mitte der Produktion gestoppt.

Nachdem wir sehr lange gesucht hatten, schafften wir es, für 30 Prozent Mehrkosten ein einfacheres, aber atmosphärisches Produkt zu bekommen. Für mich war sehr interessant, dass das Weglassen von Arbeitsschritten nicht zu einer Einsparung geführt hat, sondern zu einer Verteuerung - weil die Prozesse auseinandergerissen worden sind. Inzwischen wird dieser handwerklich gemachte Heizkörper in Serie hergestellt, weil die Nachfrage immer größer wurde.

Wahrscheinlich kam einfach vorher noch niemand auf diese Idee.
Mag sein. Es zeigt aber auch, wie man standardisierte Prozesse ohne viel Mehraufwand verändern kann, und ein Produkt, das eigentlich ganz normal aussieht, auf einmal auf eine ganz andere Weise sichtbar wird.

«Die EZB stärkt die Marke Frankfurt»

Sie vermieten ein Industriegebäude an die Offenbacher Hochschule für Gestaltung zu verhältnismäßig niedrigen Preisen. Wie wichtig sind Ihnen finanzielle Kennzahlen im Vergleich zu einer guten oder hilfreichen Idee?

Finanzielle Kennzahlen sehen bei uns anders aus als in anderen Unternehmen. Ich betrachte eine Investition zum einen aus der Sicht der Gewinnsicherung,  nicht der Gewinnmaximierung. Die Marke Goldman wird aber auch durch nicht-finanziellen Ausgleich gestärkt. Wir vermieten zu einem niedrigeren finanziellen Ausgleich als eigentlich nötig an die HfG, aber ich nehme zusätzlich die Außenwirkung, die Markenstärkung des Namens Goldman und die Werbewirksamkeit in meine Gesamtbetrachtung auf. Wenn Sie heute ein Haus bauen, dürfen sie das nicht nur unter wirtschaftlichen Aspekten betrachten. Ein Haus wird nicht für fünf Jahre gebaut, sondern für die nächsten 50 Jahre.

Mit dem Neubau der EZB entsteht gerade  ein komplett neues Viertel. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Ich bin seit 20 Jahren im Ostend, und das Viertel entsteht durch die EZB nicht neu - es ist schon da. Man muss das größer sehen: die EZB ist eine Markenstärkung in der ganzen Welt, weil sie in jeder Nachricht, in jeder Zeitung erwähnt wird. Daher stärken wir unsere Marke Frankfurt, die Vermietung, den Zuzug, den Umsatz - alle Branchen profitieren davon. Deswegen sehe ich die EZB nicht als Quartiersstärkung, sondern als Markensegment für Frankfurt.

Mit Ihrem neuen Projekt MA* möchten Sie einen weiteren Teil Frankfurts wiederbeleben - die sogenannte Neustadt an der alten Diamantenbörse, unweit der Zeil.. Wie ist der aktuelle Stand?

Das MA* ist für mich eines meiner ambitioniertesten Projekte, gleichzeitig aber auch das einfachste. Wir wollen einen Stadtteil neu definieren, der überhaupt noch nicht vorhanden ist. Ein kleines Quartier, mitten in der Innenstadt, das noch nicht als Quartier gesehen wird, sondern nur als einzelne Fragmente. Obwohl es das einfachste Projekt ist, ist es wiederum auch das schwerste geworden, weil Deutschland sich das Leben durch eine Anhäufung von Bürokratie selbst schwer macht. Nischenprodukte werden für mich immer schwieriger, teilweise kaum noch machbar. Kreativität wird in Deutschland durch diese Überregulierung getötet.

«Schafft die EU ab!»

Das hat sich in den letzten Jahren geändert?

Ja. Schafft die EU ab, dann sparen wir Milliarden an Kosten. Wen interessiert die Biegeeinheit einer Banane oder die Farbgestaltung einer Gurke? Wir erzeugen überall Bürokratie. Was die EU erzeugt, erzeugt Deutschland noch einmal doppelt. Auf Grundlage dessen, was an Gesetzen reinkommt, versucht Deutschland nochmals zu verfeinern - um noch feiner zu sein als die EU.

Wundert es Sie nicht, dass die geplante Neustadt, obwohl sie so zentral liegt, jahrzehntelang kaum beachtet wurde?

Das Einfachste liegt immer nahe, ob es Microsoft, Apple oder Google ist - das sind alles Ideen, die nicht neu gewesen sind. Aber es hatte jemand die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt, und er hat sie auch richtig ausgearbeitet. Die Umsetzung ist das Wichtigste. Ideen gibt es Tausende, aber eine Idee ohne Umsetzung funktioniert nicht.

Welches sind Ihre Lieblingsorte in Frankfurt?

Ich liebe den Osthafen. Ich bin gerne in der Goldmeile, der Gastromeile in der Oberen Berger Straße. Und ich freue mich über die stetige Ausweitung des Main-Spazierweges.

Sie haben durch Ihre Projekte mittlerweile weit über die Landesgrenzen Hessens hinaus Bekanntheit erlangt. Suchen Sie diese Öffentlichkeit aktiv?

Wenn man Marke sein will, muss man öffentlich sein. Wir propagieren Qualität, und jeder der propagiert muss auch öffentlich sein, damit er andere überzeugen kann. Ich bin ein Überzeugungstäter und möchte andere davon überzeugen, Qualität für ihre Umwelt zu produzieren. Das können Sie nicht unter dem Mantel der Geheimhaltung.

Herr Goldman, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte David Schahinian.

Verfasser: David Schahinian

Weiterempfehlen