BME rmr-Webinar „Lieferantenmanagement im Mittelstand“: Mehr Strategie, weniger Preiskategorie

Wie wichtig Lieferketten sind, wurde in den vergangenen Monaten mehr als deutlich – durch die Corona-Pandemie, aber auch durch das geplante Lieferkettengesetz. Ohne Lieferanten läuft nichts. Und doch wird die Geschäftsbeziehung mit ihnen in den meisten mittelständischen Unternehmen sträflich vernachlässigt. Wer sie nur als Erfüllungsgehilfe und Sparringspartner in Preisverhandlungen sieht, verschenkt jede Menge Potenzial, sagt Thomas Vogel. Der langjährige Einkaufsexperte und Gründer von Consultingeinkauf zeigte in einem kurzweiligen Webinar des BME rmr, wie man es heben kann. Ein so wichtiges Thema, dass wir im Nachgang noch mehr von ihm dazu wissen wollten.
BME rmr: Herr Vogel, sie sagen, dass Lieferanten mittlerweile zu 50 bis 70 Prozent für den eigenen Unternehmenserfolg verantwortlich sind. Warum?
Thomas Vogel: Dafür gibt es mehrere Gründe. So ist der Materialkostenanteil in den vergangenen 20 Jahren dramatisch von rund 40 auf teilweise bis zu 70 Prozent gestiegen. Darüber hinaus wurde vielerorts die interne Fertigungstiefe reduziert, Produktion und Services wurden ausgelagert. Insgesamt haben sich die Wertschöpfung und Technologieinnovationen immer mehr zum Lieferanten hin verschoben.
Warum wird das Lieferantenmanagement dann nach wie vor häufig unterschätzt?
Weil sich viele Unternehmen nicht bewusst machen, wie groß zum einen ihre Abhängigkeit von den Lieferanten de facto ist und welches Potential zum anderen verschenkt wird. Ich würde mir diesbezüglich eine größere Sensibilität seitens des Einkaufs, aber auch seitens der Geschäftsführung wünschen. Lieferanten sind Partner, mit denen man eng zusammenarbeiten sollte – und häufig sogar muss. Sie tragen viel zu einer professionellen Wertschöpfung bei, da muss man nicht immer um den allerletzten Cent feilschen. Diese strategische Sicht fehlt mir bei vielen Mittelständlern. Darf ich Ihnen in diesem Zusammenhang eine Wette anbieten?
Gerne, aber ohne Einsatz!
Wenn Sie Einkäufer in größeren mittelständischen Unternehmen fragen würden, ob sie eine Art von Risikomanagementsystem nutzen – ich wette mit Ihnen, dass diese Zahl fünf Prozent nicht übersteigt.
Fünf Prozent? Diese Wette hätte ich verloren.
Es geht eben nicht nur um Aspekte wie die Lieferantenbewertung. Die ist zwar ebenfalls wichtig, aber da schaut man in den Rückspiegel. Risikomanagement ist mehr, es ist ein Blick auf das Morgen und Übermorgen. Wer einen Eisberg kommen sieht, kann ihn umschiffen. Aber genau dazu braucht es ein Konzept!
Wie könnte man als Mittelständler einen Schritt auf die Lieferanten zugehen?
Im Einkauf ist zunächst einmal ein professionelles Warengruppenmanagement gefragt. Damit kann man strategisch und gezielt herausarbeiten, mit wie vielen und welchen Partnern man zusammenarbeiten will. Mindestens ebenso wichtig ist aber, dem Thema Lieferantenentwicklung mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Das wird bislang noch stark vernachlässigt.
Können Sie ein Beispiel nennen?
In vielen Einkaufsabteilungen wird Lieferantenmanagement mit Lieferantenbewertung gleichgesetzt. Das ist falsch. Es ist nur ein Teil davon. Bewertungssysteme sind nützlich, aber auch hier gilt: Ihr Blick geht allein in die Vergangenheit. So gestaltet man keine Zukunft. Ich werbe dafür, gemeinsam proaktiv und strategisch Entwicklungsmaßnahmen zu entwickeln.
Lohnt sich der Aufwand auch für kleinere Unternehmen?
Ab einer bestimmten Größe ja. Auch Mittelständler mit 300, 400 Mitarbeitenden müssen in Bezug auf das Lieferantenmanagement ihre Hausaufgaben machen. Dafür braucht es keinen Rahmen und keine Software wie in einem Großkonzern, da hilft vielleicht auch schon ein Strategiepapier. Kleine Betriebe mit 50 oder 100 Beschäftigten haben allerdings weder ausreichend Volumen noch ausreichend Einfluss dafür. Sie müssen nehmen, was der Markt hergibt, das muss man realistisch einschätzen.
Zu einer Zusammenarbeit gehören immer mindestens zwei. Was, wenn sich der Lieferant einem gemeinsamen Entwicklungsprozess verweigert?
Das kann durchaus einmal vorkommen. Daher finde ich es wichtig, dem Lieferanten den Mehrwert dieses Weges aufzuzeigen – beispielsweise in Gesprächen, die losgelöst vom operativen Tagesgeschäft sind. Eine gute Ausgangsposition dafür ist die Frage, wie man sich gegenseitig unterstützen kann. Dazu kann zum Beispiel auch zählen, Prozesse gemeinsam zu digitalisieren.
Für viele Unternehmen dürfte das eine ungewöhnliche Perspektive sein.
Oft sehen sich die Parteien als Gegner, anstatt über strategisch-partnerschaftliche Aspekte zu diskutieren. Dass Qualität und Preis stimmen müssen, versteht sich ja von selbst.
Manche sehen die Gegner aber auch im eigenen Unternehmen – etwa in einer Geschäftsführung, die keine Ressourcen für solche Entwicklungsmaßnahmen zur Verfügung stellen will.
Ich würde gerne noch einen Schritt weitergehen: Es ist heutzutage leider oft noch der Einkauf selbst, der nicht den Mut für die nötige strategische Weitsicht mitbringt. Wenn ich diese Vorschläge in meinen Trainings und Beratungen unterbreite, dann gibt es wenig Nein-Sager, weil alle davon profitieren: der Einkauf selbst, die Qualitätssicherung, meistens auch Research & Development… Warum probiert man es dann nicht einfach mal aus? Warum startet man nicht mal ein Pilotprojekt mit ein, zwei Lieferanten, um Erfahrungen damit zu sammeln? Um den Prozess ins Rollen zu bringen, bieten sich Formate wie Workshops oder sogenannte Kamingespräche an, in denen man zunächst unverbindlich auslotet, was möglich sein könnte. Allein die Kernfrage „Wo wollen wir in ein bis zwei Jahren in der gemeinsamen Partnerschaft stehen?“ frank und frei zu diskutieren, bringt meistens schon viele wertvolle Impulse.
Leider kommen auch wir nicht ganz um das Thema Corona-Pandemie herum. Ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, ausgerechnet jetzt damit anzufangen, das Lieferantenmanagement neu zu denken?
Einkäufer müssen die Lieferantenentwicklung als zusätzliches Werkzeug des Risikomanagements begreifen. Dieser Weitblick macht sich bezahlt. Fakt ist, dass momentan leider so viele Brandherde zu löschen sind, dass der Einkauf dafür keine Zeit hat. Sobald sich die Situation aber wieder verbessert, sollten Mittelständler das Thema angehen. Dann ist der ideale Zeitpunkt, ansonsten gerät es wieder in Vergessenheit.
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David Schahinian
Foto: Thomas Vogel