BME rmr-Veranstaltung: Neues bei Leica – Von Wetzlar in die Welt

Top-Produkte, Top-Einkäufer, Top-Einblicke: Der Blick über den Tellerrand nach Wetzlar in die BME-Region Lahn-Dill hat sich für den BME rmr mehr als gelohnt. Seit 1849 werden an dem Standort optische Geräte wie Fotoapparate und Ferngläser gefertigt. Bis heute verteidigt das Unternehmen „Leitz Camera", besser bekannt als Leica, erfolgreich seinen Ruf als Hersteller von weltweit anerkannten Premiumprodukten. Dazu trägt auch der Einkauf bei. Kein Wunder, wenn man hört, mit wie viel Herzblut und Leidenschaft der Leiter der Abteilung, Ulrich Weigel, bei der Sache ist.
Leica ist weltbekannt, Wetzlar weniger. Dass sich das langsam ändert und der Standort auch für talentierte junge Einkäufer attraktiver wird, liegt nicht zuletzt an dem Unternehmen. Der Leitz-Parkist weitläufig, die Parkplatzsuche kein Problem, die Begriffe Leitz und Leica überall präsent. Das Staunen wird größer, wenn man des 2014 fertiggestellten Firmensitzes gewahr wird: Die Gebäude nehmen die rundliche Formensprache der Produkte auf und stellen ein Objektiv, ein Fernglas und eine Kamera dar. Die Empfangsräume sind groß, hell gestaltet und minimalistisch ausgestattet. Welche Schätze sie verbergen, sahen die 35 Teilnehmer des Firmenbesuchs erst später.
„Man sollte Einkaufsleiter alle fünf Jahre austauschen", begann der meinungsstarke Ulrich Weigel gleich mit einer kleinen Provokation. Nur so sei gesichert, dass man nicht im eigenen Saft schmort, sondern immer wieder neue Ideen ins Unternehmen gebracht werden. Konsequent wie er ist, verlässt er Leica im Herbst, um sich auf seine Dozenten- und Coachingtätigkeit zu konzentrieren. Auch der Markt selbst ist in starker Bewegung. „Smartphonization" nennt Weigel als ein Beispiel: Mit der wachsenden Qualität der Telefone werden insbesondere Kamera-Einsteigermodelle es künftig schwer haben, sich noch zu behaupten. Ein Grund, warum Leica sich früh breit aufgestellt hat: Das Unternehmen stellt unter anderem auch Sportoptik, Entfernungsmesser für die Jagd und Ferngläser her. Ausstellungen, eigene Shops und Events runden den Gesamteindruck ab.
Einkaufstools werden selbst entwickelt
Dass Einkäufer ihre Arbeit gewissenhaft machen, versteht sich von selbst. Was es aber heißt, nichts dem Zufall zu überlassen, wird bei Leica deutlich. Zu beschaffende Komponenten werden beispielsweise einer genauen Kostenanalyse unterzogen, die 300 direkten Lieferanten durchlaufen ein permanentes Monitoring. Der Clou sind jedoch die selbst entwickelten Tools des Einkaufs. Neben ihrem Zweck erfüllen sie eine weitere Aufgabe: „Für mich ist Führung alles. Man muss seinen Leuten etwas zutrauen und sie machen lassen."
Kritische oder Engpass-Teile werden wöchentlich mit solch einem
Tool getrackt. Es gibt Notfallpläne für verschiedene Eventualitäten wie etwa die Insolvenz eines Lieferanten. Zudem werden die 15 größten Underperformer unter ihnen akribisch beobachtet. Die strategischen Einkäufer, die bei Leica Projekteinkäufer in Personalunion sind, stehen dafür gerade und setzen verständlicherweise alles daran, schnell wieder aus der Liste zu verschwinden. Die Einkäufe, berichtete Weigel weiter, misst seine Abteilung nicht selbst, sondern das Controlling. Das helfe mitunter, nackte Wahrheiten zu erkennen und auszusprechen.
Das straffe Risikomanagement kommt nicht von ungefähr – und hat seinen Ursprung im Reaktorunglück von Fukushima. In einem hochspezialisierten Markt wie dem, in dem Leica tätig ist, werden die ausgewählten Lieferanten oftmals zu Quasi-Monopolisten, die nicht ohne Weiteres ersetzt werden können. Bei wichtigen Schlüssellieferanten kann ein unvorhersehbares Ereignis wie der Tsunami dann schnell zum Stillstand der Produktion führen. Ulrich Weigel und sein Team konnten das nicht nur verhindern, sondern zogen auch ihre Lehren daraus.
Am Puls der Geschichte
Anschließend ging es über eine Wendeltreppe zurück in die Empfangshalle. Nun sahen die Besucher vom BME rmr auch den Seitenflügel, in dem die Erlebniswelt ihren Platz gefunden hat. Sie ist frei zugänglich und lässt das Herz jedes Fotografie-Fans höher schlagen. Ausgestellt sind unter anderem 36 Fotos, die Weltgeschichte schrieben – und mit einer Leica aufgenommen wurden. Darunter sind auch Aufnahmen früherer Kriegsberichterstatter. Sie wussten die Marke zu schätzen, weil die Kameras auch ohne Blitz lichtstark genug und zudem leise waren. Ein Vorteil, der an der Front Leben retten konnte. Solche historischen Modelle waren ebenso zu bestaunen wie Einblicke in den laufenden Betrieb, etwa die Objektivproduktion. Der Bogen zur Moderne wurde mit einer Foto-Ausstellung von Werken des Musikers Lenny Kravitz geschlagen, der wenige Wochen zuvor persönlich zur Vernissage nach Wetzlar gekommen war.
Seinen Abschluss fand die beeindruckende und von BME rmr-Vorstandsmitglied Evelyn Kunkel organisierte Führung im Leitz-Café auf dem Vorplatz des Firmensitzes. Hier wurden viele Erfahrungen ausgetauscht, ist doch die Digitalfotografie längst ein Steckenpferd vieler Menschen geworden. Mindestens ebenso viel Gesprächsstoff hatten aber die leidenschaftlichen Einblicke von Ulrich Weigel in das Einkaufswesen des Traditionsunternehmens geliefert. Die Teilnehmer sahen Leica danach mit anderen Augen – und das ist nicht das Schlechteste, was man über einen Hersteller von Hochpräzisionsoptik sagen kann.
David Schahinian