BME rmr – Jahresauftakt 2024: „Die Zukunft denkt anders!“ mit Futurologe Max Thinius - Bangemachen gilt nicht
Manchmal reicht es schon, tausendfach gehörte Begriffe einmal zu hinterfragen, um plötzlich nachdenklich zu werden. Ausbildung und Abschluss beispielsweise. Sie suggerieren, dass jemand am Ende aus-gebildet ist und etwas abgeschlossen ist. Dabei fängt das lebenslange Lernen an diesem Punkt erst richtig an. Oder Künstliche Intelligenz: „Kann KI künstlich sein, wenn sie von Menschen programmiert ist?“. Mit Fragen wie diesen lädt Futurologe Max Thinius zum Umdenken ein, und das ist aus seiner Sicht auch bitter nötig. Denn die alten industriellen Rezepte greifen nicht mehr und niemand will doch wie die Musikkapelle auf der Titanic sein, die unbeirrt Klassisches weiterspielt, obwohl der Dampfer am Sinken ist. Als Gastredner beim gemeinsamen Jahresauftakt der BME-Regionen Rhein-Main und Hanau sowie der Regionalgruppe Hessen des Fachverbands „Die Führungskräfte“ inspirierte er damit rund 80 Menschen.
Orange Hutkrempe, oranger Pulli, orangerote Schuhe: Übersehen konnte man Max Thinius im Frankfurter Haus am Dom nicht. Er ist Mitgründer des Instituts für Zukunftsgestaltung Futurneo, das ihn mit rund 40 Personen dabei unterstützt, in 76 europäischen Regionen aktiv zu sein. Anders als Trend- oder Zukunftsforscher geht es ihnen nicht um ein „Was wäre, wenn…“, sondern um das, was bereits ist und wohin es führen kann. Sein Credo ist, nicht zu warten auf das, was kommt, sondern die Zukunft selbst zu gestalten. Und so viel ist klar: „Nur mit Verzicht funktioniert das nicht. Zukunft muss Spaß machen.“
In Deutschland ist davon aber häufig nicht allzu viel zu spüren. Viele Menschen verbänden mit KI beispielsweise Schreckensszenarien wie Jobverlust oder damit, den Anschluss an die Technik zu verlieren. Tatsächlich sind die Veränderungen groß, weil sie sich gleichzeitig durch sämtliche Lebensbereiche ziehen, die Thinius in 17 Gruppen zusammenfasst. Gesundheit, Wohnen und Arbeit etwa, aber auch Ernährung, Kultur oder Spiritualität. Er erinnerte aber auch daran, dass die Industrialisierung rund 84 Prozent des gesamten Alltags verändert hat, vom Bau von Straßen und Supermärkten bis zum Begriff der Freizeit. Nun, beim Übergang von der Industrialisierung zur Digitalität, seien es bereits 18 Prozent – der Rest komme noch.
Digitalität ist mehr als Digitalisierung
Digitalität? Für Max Thinius der treffendere Begriff für das, was gerade passiert, denn sie bezeichnet das Zusammenspiel zwischen Digitalisierung und Gesellschaft, also die „Realität“. Er glaubt, dass es bereits zwischen 2027 und 2032 mehr digitale als industrielle Strukturen geben wird. Ob es wirklich sein kann, dass man selbst gerade jetzt in der Phase eines solch großen Umbruchs lebt, werden sich manche fragen. Seine Antwort: „Ja.“ Der große Unterschied zu früher besteht darin, dass die Digitalität polyzentral gesteuert ist und über kollaborative Netzwerke funktioniert, während die Industrialisierung stark zentral gesteuert war. Das hatte Nachteile, die auch Einkäuferinnen und Einkäufer gut kennen: Liegt etwa einmal ein Schiff quer im Suezkanal, potenzieren sich Lieferprobleme schnell. Ein anderes Beispiel sind Atommeiler, die im Falle einer Havarie eine großflächige Katastrophe auslösen können – im Gegensatz zu vielen verteilten, am besten regenerativen Energiequellen.
Wenn sich sowieso vieles verändert, kann man es auch richtig machen. Statt alle Menschen in den zentralen ÖPNV zu zwängen, wäre es nach Meinung des Futurologen sinnvoller, ihn zu individualisieren und beispielsweise Taxifahrer zu Mobilitätsdienstleistern weiterzuqualifizieren. Oder auch die Lokführer, die mittelfristig durch KI ersetzt werden könnten, wenn man sie nicht weiterbildet. Ein Streik für mehr Geld bei weniger Arbeitszeit verhindere diese Entwicklung nicht, sondern beschleunige sie. Auch die alte Gliederung von Städten – Einkaufen, Wohnen, Arbeiten – sei nicht mehr zeitgemäß. Durchgangsstraßen würden nicht mehr gebraucht, stattdessen geht es um mehr Aufenthalts- und Lebensqualität an dezentralen Treffpunkten.
KI clever nutzen
Wem bei all dem der Kopf schwirrte, dem rief Max Thinius zum Abschluss seines Vortrags zu: „Lassen Sie sich nicht hetzen.“ So kritisierte er auch, dass nun viele Firmen auf den Zug aufspringen und selbst ein „KI-Unternehmen“ werden wollen. Wichtiger sei die Frage, wo sie hinfahren wollen, um dann, immer wieder an die aktuellen Anforderungen angepasst, die richtigen Dienstleister dafür zu finden. „Sie können das sowieso besser, und nächstes Jahr gibt es einen anderen, der es noch besser kann.“
Seine Thesen warfen natürlich auch viele Fragen auf, die zunächst in großer Runde und später in kleinen Gesprächen bei einem Imbiss mit Networking diskutiert wurden. Die Datensicherheit und der Arbeitsmarkt waren nur zwei von vielen Beispielen. „Ein Patentrezept hat noch keiner“, sagte er. Zukunft ist eben, was man selbst daraus macht.
Die nächste BME rmr-Präsenzveranstaltung findet am Mittwoch, 21. Februar, in Karlstein statt. Referent Thomas Kress, Gründer der TKUC GmbH, wird zum Thema „Cyber Crime – Gehen Sie auf Nummer Sicher?“ sprechen. Außerdem gibt es eine Führung durch das neue Rechenzentrum MainRZ. Eine Anmeldung ist hier möglich. Bereits am Donnerstag, 8. Februar, wird Referentin Gülistan Unvar von Studicon in einem Webinar über die Auswirkungen und Anwendungen von ChatGPT und KI im Beschaffungsumfeld sprechen. Eine Anmeldung dazu ist hier möglich.
David Schahinian