BME rmr – Führen aus der Distanz: In Führung gehen – mit Konzept und Menschlichkeit
Remote Work ist zum Massenphänomen geworden. Was früher nur einer kleinen Minderheit möglich war, zählt mittlerweile für viele Fachkräfte zu den grundsätzlichen Anforderungen an Arbeitgeber. In der Pandemie stellten viele Unternehmen jedoch fest, dass es nicht damit getan ist, eine frische Videokonferenzsoftware aufzuspielen. Führen aus der Distanz erfordert andere Fähigkeiten und Verhaltensweisen, als sie viele Chefs und Chefinnen einmal erlernt haben. Frank Runkel weiß das. Als Branch Manager bei dem weltweit tätigen Speziallogistiker World Courier sieht er viele seiner Kolleginnen und Kollegen nur selten persönlich. Sie sind in anderen Teams, anderen Niederlassungen und anderen Zeitzonen tätig. Wie es Führungskräften trotzdem gelingen kann, Menschen nicht auf flache Kommunikationskacheln zu reduzieren, sondern zusätzlich zu motivieren, erklärte er in einem Online-Vortrag für den BME rmr.
„Seit März 2020 weiß jeder, was es heißt, im Homeoffice zu arbeiten“, stellte Frank Runkel eingangs fest. Denn die Umstellung auf Remote Work musste in der Pandemie schnell und in vielen Fällen unvorbereitet geschehen. Viele Organisationen merkten in der Folge schmerzlich, dass es nicht reicht, Offline-Konzepte einfach in die Online-Welt zu übertragen. Es stellten sich ganz neue Herausforderungen. Der Teamgeist beispielsweise kann sinken, wenn der Austausch von Angesicht zu Angesicht fehlt. Der Informationsfluss muss sichergestellt sein, ohne ein Meeting an das nächste zu reihen. Vor allem in kreativen und innovativen Unternehmensbereichen und Branchen bemerkte man außerdem schnell, dass es den persönlichen Austausch braucht, um neue Ideen zu entwickeln und sie zu formen.
Die Führungskraft spielt bei dem Ganzen eine wichtige, vielleicht sogar die entscheidende Rolle. Im negativen Sinn, wenn sie es als Kontrollverlust wahrnimmt, ihr Team „laufen zu lassen“ und einzelne Mitglieder möglicherweise tagelang kaum zu sehen. Die einen reagieren mit zusätzlichen Maßnahmen, um die Kontrolle wiederzuerlangen. Meist wirken diese sich aber kontraproduktiv aus. Im positiven Sinn, wenn sie sich auf die neue Arbeitswelt einstellt und deren Chancen nutzt. Dazu zählen eine höhere Zufriedenheit bei den Angestellten, eine höhere Motivation durch mehr Selbstverantwortlichkeit und bessere Karten im Recruiting: Kann eine Tätigkeit überwiegend remote ausgeführt werden, erweitert sich der Kreis potenzieller Bewerber und Bewerberinnen, weil sie nicht mehr zwingend aus dem Umkreis kommen müssen. Das umzusetzen ist für Führungskräfte allerdings leichter gesagt als getan, denn es setzt voraus, dass sie an der Art und Weise ihrer Kommunikation, ihren Führungsmechanismen und ihrer Rolle und Haltung arbeiten müssen, betonte Frank Runkel.
Spielraum innerhalb festgesetzter Leitplanken
Mit einem Dutzend handfester Praxistipps zeigte er anschließend, worauf es dabei seiner Erfahrung nach ankommt. Regeln zum Beispiel. Sie bedeuteten beim Führen auf Distanz das Gegenteil von Kontrolle. Vielmehr weiß dank ihnen jeder, worauf es ankommt – egal, wo er oder sie arbeitet. Regelmäßiges Feedback (auch positives!) sei ebenso unabdingbar wie eine Meetingkultur, die sicherstellt, dass die gemeinsame Gesprächszeit produktiv und effektiv genutzt wird. Der Austausch untereinander sollte ebenfalls unterstützt werden, denn er stärkt das Wir-Gefühl auch über große Distanzen hinweg. „Vermeiden Sie eine Zwei-Klassen-Gesellschaft“, empfahl Frank Runkel außerdem. Ob ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin im Büro oder im Homeoffice arbeitet, sollte keine Rolle bei ihrer Beurteilung spielen. In der Praxis können ansonsten schnell Gräben entstehen.
Es wurde deutlich, dass es ein durchdachtes und auf die jeweilige Situation in einem Unternehmen angepasstes Konzept braucht, damit Führen aus der Distanz auch zum Erfolg führt. Nötig ist ein austariertes System, das Aspekte wie Arbeits- und Präsenzzeiten, die Dokumentation von Geschäftsvorgängen, aber beispielsweise auch das Onboarding neuer Teammitglieder berücksichtigt. Am besten zur Zufriedenheit aller, mindestens aber zum Vorteil möglichst vieler Mitarbeitenden.
Konsens schafft Klarheit
Am Beispiel seines Arbeitgebers World Courier zeigte Frank Runkel, wie das in der Praxis funktionieren kann. Dort einigte man sich auf eine „Team-Charta für hybride Zusammenarbeit“. Sie gibt unter anderem vor, dass Termine pünktlich begonnen und beendet werden. Ein Segen für alle, die schon einmal in einer schier endlos ausufernden Videokonferenz sitzen mussten. Die telefonische Erreichbarkeit soll bei mindestens 95 Prozent liegen und es gibt eine klare Aufgabenverteilung zwischen Büro und Homeoffice.
Nun kann trotz bestem Willen nicht jeder und jede so arbeiten, wie er oder sie gerne möchte. Um dem Rechnung zu tragen, ist in dem Unternehmen jede Rolle einer bestimmten Kategorie zugeordnet. Es gibt Mitarbeitende, die fünf Tage im Büro sind – ebenso wie solche, die Vollzeit remote arbeiten und höchstens zu einer Schulung oder Besprechung ins Büro kommen. Mit diesem Vorgehen wissen Bewerberinnen und Bewerber schon im Vorfeld, worauf sie sich einlassen – und können von Beginn an eine Position wählen, die ihren persönlichen Präferenzen am ehesten entspricht.
„Führung ist wie Wasser: Die Form verändert sich, aber der Kern bleibt gleich“, zitierte Frank Runkel schließlich Kommunikationstrainer Sebastian Pflügler. Für ihn persönlich bedeutet das, dass hybride Arbeit ein Leitbild und Regeln braucht. Auch von guter Führung in diesem Kontext hat er ein klares Bild: „Vertrauen und Hilfe statt Kontrolle.“
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David Schahinian