BME rmr Online-Veranstaltung „China Sourcing“: Keine Abkehr von China
Irgendetwas passt da nicht zusammen. Auf der einen Seite sind die Stimmen, die für eine größere Unabhängigkeit von China plädieren und eine ganze Liste an Kritikpunkten aufführen, warum das so sein sollte. Auf der anderen Seite stehen Zahlen wie die des Statistischen Bundesamtes Destatis, nach denen die Volksrepublik China 2022 der wichtigste Handelspartner Deutschlands war – zum siebten Mal in Folge. Solche Widersprüche können insbesondere Einkäuferinnen und Einkäufer verunsichern. Riccardo Kurto, Chinabeauftragter und Leiter des BME-Büros China, erklärte in einem Online-Vortrag nicht nur, wie beides in Einklang zu bringen ist. Er gab auch konkrete Tipps für Unternehmen, die bereits Handelsbeziehungen mit dem Reich der Mitte pflegen oder solche aufbauen wollen.
Dafür konnte er sich auf geballte Kompetenz berufen: 2022 gründete der BME den Expertenkreis China. Mittlerweile sind darin 48 meist mittelständisch geprägte Industriebetriebe vertreten, die ein jährliches Einkaufsvolumen von rund 11 Milliarden Euro verantworten. Mehr als 3 Milliarden davon fließen nach China. Die halbjährlichen Stimmungsbilder aus dem regelmäßig konferierenden Kreis zeichnen ein sehr genaues Bild von der konkreten Ausgestaltung der Handelsbeziehungen, abseits politischer Initiativen und medialer Berichterstattung.
Die gute Nachricht ist, dass die Unternehmen die multiplen Krisen dieser Zeit, bislang zumindest, gut wegzustecken scheinen. Die Null-Covid-Politik ist kaum ein Thema mehr, und auch auf die Auswirkungen der Russland-Sanktionen hat sich die Wirtschaft mittlerweile eingestellt. Manche Herausforderungen sich überdies hausgemacht. So gaben im April dieses Jahres 80 Prozent der für das Trendradar des Expertenkreises befragten Unternehmen an, dass die EU-Nachhaltigkeitsgesetzgebung „mittlere bis starke Auswirkungen“ auf ihre Einkaufsorganisationen hat. „Dies stellt die Unternehmen vor weitere Herausforderungen“ fasste Kurto zusammen.
Kritisch beäugt wird indes die Entwicklung in Taiwan. 81 Prozent der Befragten gaben an, dass das Thema mittlerweile verstärkt in ihr Risikomanagement einfließt. Kein Wunder, ist der Inselstaat doch weltweit drittgrößer Hersteller von Halbleiterprodukten und sogar ihr größter Auftragsfertiger. Just am Tag des Vortrags wurde bekannt, dass Deutschland die Ansiedelung einer Chipfabrik von Intel in Magdeburg mit Subventionen in Höhe von knapp 10 Milliarden Euro unterstützt.
Derisking statt Decoupling
Da ist er wieder, der Widerspruch zwischen einem gegenseitigen Abkoppeln und den nach wie vor vielfältigen und stabilen Handelsbeziehungen zwischen China und Deutschland. „Das Thema Decoupling war für die meisten Firmen nie wirklich ein Thema“, erklärte Kurto. Aus den Ergebnissen sei vielmehr herauszulesen, dass es unterschiedliche Perspektiven gibt. Eine gesellschaftlich-soziale und eine wirtschaftliche. „Die oftmals über Dekaden gewachsene Infrastruktur lässt sich nicht einfach ersetzen. Die Unternehmen wissen den Standort zu schätzen und wissen was sie dort haben.“ Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen will die Beschaffungsaktivitäten dort aktuell sogar ausbauen. Die Versorgungssicherheit und die Stabilität der Lieferketten bezeichnete hingegen nur ein marginaler Anteil als schlecht.
Dennoch ziehen sie natürlich auch die geopolitische Dynamik mit ins Kalkül. Um weiteren Abhängigkeiten entgegenzuwirken, ziehen viele ein Derisking statt ein Decoupling in Betracht. Konkret bedeutet das eine lediglich punktuelle Verlagerung von Beschaffungsbedarfen in andere Regionen. Südostasien – und hier vor allem Vietnam – sowie Indien stehen dabei hoch im Kurs. Die buchstäblich naheliegende Türkei wird dagegen kaum als Alternative angesehen. Viele sind im Unklaren darüber, wie stabil das dortige Marktumfeld derzeit ist und wie es sich weiterentwickeln wird.
Der BME kann china-affinen Einkaufsorganisationen auf vielfältige Weise unter die Arme greifen, berichtete Kurto abschließend. Neben der Mitgliedschaft im Expertenkreis China steht dabei vor allem SEPP im Vordergrund. Die Abkürzung steht für „Sino European Procurement Platform“. Über sie kann unter anderem der Markteintritt unterstützt oder das bestehende Lieferantenportfolio erweitert werden. Auch der Bezug von Waren mit koordinierten Einkaufsvorteilen ist möglich. Für BME-Mitglieder sind die Services kostenfrei.
David Schahinian