BME rmr-Veranstaltung: Sind Kunststoffe nachhaltig? - Die große Kunst, richtig mit Kunststoffen umzugehen
Die Alchimisten wollten aus unedlen Metallen wertvolles Gold herstellen und scheiterten. Heute geht man sehr viel seriöser ans Werk und hat daher gute Chancen, mit einem ähnlichen Projekt zu reüssieren: aus Abfall neue Rohstoffe herzustellen. Plastik steht dabei im Mittelpunkt, weil es als ein Hauptgrund für die Umweltverschmutzung angesehen wird. Das Schwarz-Weiß-Denken greift allerdings zu kurz, erklärte Johannes Musseleck bei einer BME rmr-Veranstaltung im Frankfurter Palais Livingston. Kunststoffe haben ihre Vorteile – wenn sie richtig eingesetzt und wiederverwertet werden. Er gab Einblicke in eine Milliardenindustrie, die innovativer ist, als viele denken.
Dass schon die Ausgangsfrage: „Sind Kunststoffe nachhaltig?“ kontrovers war, sprach er gleich zu Beginn humorvoll mit einer Star Wars-Anspielung an: „Ich komme von der dunklen Seite der Macht: der Plastikindustrie.“ Musseleck ist Head of Global Sustainability bei der Ineos Styrolution Group, einem weltweit tätigen Anbieter von Styrol-Kunststoffen mit rund 3.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Styrol, so erklärte er, ist eine farblose Flüssigkeit, die zur Herstellung von Kunststoffen wie etwa Polystyrol genutzt wird.
Im Alltag sind Kunststoffe allgegenwärtig, ihr Image ist nicht gut. Ein Paradebeispiel ist die Gurke, die oftmals zusätzlich in einer transparenten Folie verkauft wird, obwohl Mutter Natur ihr schon einen natürlichen Schutz mitgegeben hat. Ist das nötig? Die Antwort ist dem Referenten zufolge ein klares Jein. Nötig ist es nicht unbedingt, aber wohl doch besser. Denn 90 Prozent des CO2-Fußabdrucks landeten in dem Produkt und nur 10 Prozent in der Verpackung. Eine Folie sorge einer österreichischen Studie dafür, dass Gurken länger halten. Unter dem Strich kann die Ökobilanz also mit einer Kunststoff-Folie durchaus positiv sein, weil weniger von dem wertvollen Produkt weggeworfen wird. „Jutes dank Plastik“ anstelle von „Jute statt Plastik“?
Es kommt darauf an, was man daraus macht
Die schlechte Handhabung von Kunststoffabfällen ist ein Problem, darum redete auch der Fachexperte nicht herum. Er plädierte aber wiederholt für einen rationalen und wissenschaftlich fundierten Blick auf den Werkstoff. Das heißt, dass bei seiner Beurteilung alle relevanten Faktoren mit einbezogen werden sollten, zum Beispiel die verfügbaren Alternativen und ihre Ökobilanz oder die Vor- und Nachteile beim Einsatz von verschiedenen Werkstoffen.
Konsens bestand darüber, dass es unbedingt zu vermeiden ist, dass Kunststoffe unkontrolliert in die Umwelt gelangen. Laut OECD ist schlechtes Abfallmanagement zu 82 Prozent für den Eintrag von Plastik in die Umwelt verantwortlich. Dass in Deutschland laut Musseleck nur verschwindend geringe Anteile des Kunststoffmülls im Meer landen, ist kein Grund, sich zurückzulehnen: In anderen Ländern ist das völlig anders und letzten Endes leben alle Menschen auf der gleichen Erde. „Man kann das alles managen. Es ist aber eine Frage der Müllwirtschaft, der Infrastruktur und des Verhaltens jedes einzelnen.“
„Vermeiden, Wiederverwenden, Recyceln“
Klar ist, dass die Kunststoffindustrie nicht als Buhmann dastehen will und sich auch nicht den Ast absägen will, auf dem sie sitzt. Daher arbeitet sie auf vielen Wegen daran, die schädlichen Umweltauswirkungen so gering wie möglich zu halten. „Vermeiden, Wiederverwenden, Recyceln“ ist der anerkannte Dreiklang dazu. Musseleck konzentrierte sich an dem Abend auf den letzten Bereich, weil besonders dort momentan mit Hochdruck an neuen Lösungen geforscht wird. Er stellte verschiedene Recycling-Technologien vor, machte aber gleichzeitig klar, wie groß die Herausforderung nicht nur für die Branche, sondern etwa auch für Stadtwerke oder Hersteller ist: „Müll wird zum Rohstoff. Das ist für viele eine völlig neue Herangehensweise, die auch neue Supply Chains erfordert.“ Und eine, die hohe Investitionen nötig macht, ohne sicher sein zu können, dass der ROI am Ende stimmt oder überhaupt positiv ist. Daher bildeten sich zunehmend Kooperationen und Partnerschaften am Markt heraus, schilderte er.
Der vom BME rmr-Vorstandsvorsitzenden Manuel Schmidt organisierte und moderierte Vortrag entwickelte sich – gewollt – immer mehr zu einer kontroversen Diskussion, die auch bei der anschließenden Fragerunde und dem Get Together fortgeführt wurde. Das Thema betrifft und bewegt alle, das war schnell zu bemerken. „Entscheidend ist vor allem das Verhalten der Konsumenten“, fasste Musseleck zusammen, ohne ihnen den Schwarzen Peter zuschieben zu wollen. Manchmal reicht statt High-Tech aber auch schon einfache Wissensvermittlung, um einen Schritt zu besserem Recycling zu gehen. Oder hätten Sie gewusst, dass Joghurtbecher mit Aluminiumdeckel viel schwerer wiederzuverwerten sind als ohne?
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David Schahinian