BME rmr, Online-Veranstaltung „Rechtssicher durch die Krise“ - Des Einkäufers Schmuckstück unter Druck: Damit die Lieferkette nicht bricht
Dr. Christian Gerloff ist Partner der Münchener Kanzlei Gerloff Liebler und Fachanwalt für Insolvenzrecht. Dass er BME-Mitgliedern in einem kompakten Online-Vortrag alles juristisch Wichtige zu Lieferketten erklärte, wäre in früheren Zeiten vielleicht überraschend gewesen. Heute ist die Welt eine andere: Corona und die Folgen des Krieges in der Ukraine haben dazu geführt, dass gestörte Lieferketten mittlerweile zum Alltag gehören und viele Unternehmen in Existenznöte stürzen. Der Referent kennt die aktuellen Herausforderungen gut und ging gesondert auf sie ein. Er lieferte buchstäblich ab: nämlich viel nutzwertiges und praktisch anwendbares Wissen für die BME-Einkäuferinnen und -Einkäufer.
Die sehr starke Beeinträchtigung der Lieferketten habe massive Auswirkungen, berichtete er aus der täglichen Praxis: „Wenn wir in Betriebe reingehen, bekommen wir die gesamte Einkaufsproblematik mit.“ Die Bekleidungsbranche ist eine, aber bei weitem nicht die einzige, die es besonders stark getroffen hat. So betreute die Kanzlei unter anderem schon Gerry Weber, Escada und die Adler Modemärkte. Die Herausforderungen sind unterschiedlich und reichen von steigenden Preisen bis hin zu ausbleibenden Lieferungen. Gemeinsam haben die meisten Mandate aber, dass ein Problem selten allein kommt.
Der Rechtsanwalt nahm zunächst die Kundenperspektive ein und erklärte, welche Rechte und Pflichten es bei einem Lieferantenverzug gibt. Ein wichtiger Grundsatz, der vor allem in der gegenwärtigen Krise besonders hervorzuheben ist: Der Lieferant trägt grundsätzlich das Beschaffungsrisiko seiner Waren. Der Vertragspartner darf sich jedoch nicht einfach zurücklehnen: Er hat eine Schadensminderungspflicht. Kommt er ihr nicht nach, kann das zu einer Minderung des Schadensersatzanspruches führen.
Es gibt allerdings auch Fälle höherer Gewalt. Schaut man in hiesige Gesetze, findet man dazu – nichts. „Deutsches Recht kennt keine Normierung von höherer Gewalt“, erklärte Christian Gerloff. In Deutschland werden solche Ereignisse über die allgemeinen Regelungen zu den Leistungsstörungen behandelt. International agierende Unternehmen nutzen indes meistens sogenannte „Force Majeur-Klauseln“ in Lieferverträgen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Sie befreien in Fällen höherer Gewalt in der Regel beide Parteien zeitweise oder dauerhaft von ihren Leistungsverpflichtungen. Es empfiehlt sich, bei ihrer Ausformulierung genauestens auf Details zu achten oder fachlichen Rat hinzuzuziehen. Denn für die Anwendbarkeit solcher Klauseln ist die vertragliche Auslegung entscheidend, und die ist eine Wissenschaft für sich.
Neue Herausforderungen, neue Fragen
Viele Standardverträge wurden zwar immer wieder angepasst, waren aber im Grunde sehr lange im Einsatz. Mit Corona stellten sich jedoch plötzlich viele neue Fragen, auf die es keine schnellen Antworten gab. Das zeigte sich mit einiger zeitlicher Verzögerung auch vor deutschen Gerichten, die immer häufiger entscheiden mussten, wie welche Regeln in einer Pandemie auszulegen sind. In puncto Lieferketten berichtete der Referent, dass die betroffene Vertragspartei darlegen und beweisen muss, dass und wie sie bei der Erfüllung der Leistungspflichten durch Covid-19 gehindert wurde oder wird. Und zwar genau, denn „bloße“ Preissteigerungen und andere Leistungserschwerungen sind grundsätzlich kein Fall von höherer Gewalt.
Noch fraglicher sind für viele Unternehmen die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf Lieferverträge. Das Ereignis war zumindest für die meisten Menschen kaum vorhersehbar und dauert bislang „erst“ wenige Monate an. Wenn auch jeder einzelne Tag mehr zu lang ist, braucht die rechtliche Abwägung einzelner Fragen mitunter länger. Christian Gerloffs Einschätzung zufolge kann höhere Gewalt je nach Lage des Falles vorliegen. Jedoch gilt auch hier: Preisanpassungen wegen stark gestiegener Rohstoff- und Warenpreise sind grundsätzlich nicht möglich – es sein denn, die Kalkulationsgrundlage ist Vertragsbestandteil geworden. Um den Geschäftspartnern nicht ausgeliefert zu sein, gibt es Schutzklauseln, mit denen sich Lieferanten ihrerseits zumindest teilweise absichern können, führte er weiter aus.
Wie vielfältig, aber auch herausfordernd das Thema ist, zeigte sich in der anschließenden Fragerunde, die BME rmr-Vorstandsmitglied Lothar Kunkel moderierte. Die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer haben tagtäglich mit der Ausformulierung von Lieferverträgen zu tun und wussten um die Tücken, die in manchem Detail liegen können. Christian Gerloff blieb auch bei Hardshipklauseln, Störungen der Geschäftsgrundlage oder Fragen zum Beschaffungsrisiko keine Antwort schuldig. Als Bonus erhielten die Teilnehmenden die Vortragspräsentation im Nachgang in elektronischer Form zur Verfügung gestellt.
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David Schahinian